Newsletter 6/2017 (September/Oktober): Rote Karten für den Wohnraumschutz

 

Liebe Leser*innen,

lieber bis kurz nach der Bundestagswahl warten, bevor man es sich mit einem Teil der eigenen Basis verscherzt – diesen Plan hat die Bochumer SPD mit einer Kaltschnäuzigkeit umgesetzt, die sogar uns erstaunt hat. Vor der Wahl weigerte sich die SPD-Ratsfraktion in den Ausschüssen beharrlich, auch nur ein Wort zum Entwurf der Zweckentfremdungssatzung zu sagen, mit der Wohnraum in Bochum geschützt und erhalten werden sollte. Vier Tage nach dem Urnengang haben die SPD-Mitglieder im Rat jetzt die Einführung der Satzung zum Scheitern gebracht. Darüber und über andere Themen aus der Ratssitzung am 28. September berichten wir in diesem Newsletter. Dabei geht es auch um Demokratie-Abbau, Luftschadstoffe, Radverkehr, ThyssenKrupp und die lokale Flüchtlingspolitik.

Die Themen im Einzelnen:

1. Kein Wohnraumschutz: Zweckentfremdung bleibt erlaubt
2. Handlungskonzept Wohnen: Dringender Nachbesserungsbedarf
3. Nur noch sechs Ratssitzungen? Linksfraktion gegen Demokratie-Abbau
4. Trotz grünem Wahlkampf-Gag: Keine Mehrheit für Luftschadstoff-Messstationen
5. Radverkehr in Bochum: Chronische Unterfinanzierung beenden!
6. Solidarität mit den ThyssenKrupp-Beschäftigten
7. Zur Situation der Geflüchteten in Bochum
8. Auf der Straße gegen Abschottung und Rechtsruck

 

1. Kein Wohnraumschutz: Zweckentfremdung bleibt erlaubt

Die Empörung auf der Besucher*innentribüne war groß, als die SPD bei der Abstimmung über die Wohnraumschutzsatzung die roten Karten hob. Einige der wohnungspolitisch Aktiven, die schon lange für die Nutzbarmachung der vielen Leerstände in Bochum eintreten, hatten bis zuletzt gehofft, dass die SPD nicht dem Lobbyismus der Wohnungskonzerne und des Eigentümerverbands Haus & Grund erliegt. Dabei hatte sich diese Entwicklung bereits knapp 24 Stunden vorher abgezeichnet. Nach wochenlangem Schweigen zum Thema erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Reinirkens auf der Sitzung des Strukturentwicklungsausschusses: Er könne sich nicht vorstellen, dass seine Fraktion für die Satzung stimme. Dabei hatten sich die Bochumer Bezirksvertretungen zuvor mehrheitlich für den Satzungsentwurf ausgesprochen. Auch vielen SPD-Bezirksvertreter*innen war die Verabschiedung der Satzung ein Anliegen. Mehr Infos.

In der Ratssitzung warb unser Ratsmitglied Horst Hohmeier noch einmal ausdrücklich für den Satzungsentwurf, den die Verwaltung auf unsere Initiative hin erstellt hat. Scharf kritisierte er, dass mit Fehlinformationen Stimmung dagegen gemacht werde: „Kein Vermieter, der eine Wohnung zu einem angemessenen Preis auf dem Markt anbietet, muss mit Bußgeldern rechnen. Und ebenfalls niemand, der eine Wohnung renoviert, instandsetzt, modernisiert oder umbaut. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie sich also keinen Bären aufbinden – nichts an dieser Satzung ist schädlich.“ Deutliche Worte fand er auch für das Verhalten der SPD-Ratsmitglieder: „Erst den Beschluss verzögern, dann in den zuständigen Fachausschüssen anders als vorgetäuscht keine Fachauseinandersetzung führen wollen – und jetzt das mehrheitliche Votum der Bezirksvertretungen niederstimmen, das wäre nicht nur richtig schlechter Stil, sondern auch unter demokratischen Gesichtspunkten ein Problem. Deshalb an dieser Stelle ein letzter Appell an Sie von der SPD: Stellen Sie sich nicht gegen die Interessen der Mieterinnen und Mieter und gegen die vielen wohnungspolitisch Aktiven hier in Bochum!“ Die Rede im Wortlaut. Genutzt hat es alles nichts. Mit ihrem Abstimmungsverhalten hat die SPD-Ratsfraktion einmal mehr gezeigt, auf welcher Seite sie steht, wenn es um Fragen sozialer Verantwortung geht. Damit dürfte sie auch einen Teil ihrer eigenen Basis düpiert haben.

 

2. Handlungskonzept Wohnen: Dringender Nachbesserungsbedarf

Trotz der Ablehnung der Wohnraumschutzsatzung – die Auseinandersetzung über die Bochumer Wohnungspolitik geht weiter. Als großen Wurf will jedenfalls Oberbürgermeister Thomas Eiskirch das geplante „Handlungskonzept Wohnen“ verkaufen. Inzwischen ist der Entwurf öffentlich, den die Beratungsfirma empirica im Auftrag der Stadt erstellt hat. Jetzt sollen die Ausschüsse darüber beraten, im Rat soll am 16. November entschieden werden. Wir fordern: Bis dahin muss das Konzept noch dringend nachgebessert werden. Denn der Entwurf setzt weiter auf die großflächige Privatisierung von Bauland statt auf kommunalen Wohnungsbau. Weiter halten wir es für dringend notwendig, das Konzept um konkrete Maßnahmen zur Stabilisierung der Mietpreise zu ergänzen. „Das geplante Förderprogramm zur Modernisierung von Mietwohnungen ist in der vorliegenden Form problematisch“, sagt dazu Horst Hohmeier. „Im Handlungskonzept sollte festgeschrieben werden, dass das Fördergeld vollständig zur Verbesserung der Wohnsituation genutzt werden muss – und nicht in die Erhöhung von Renditen fließen darf.“ Mit dem Konzept will die Verwaltung Investoren unter anderem dazu bringen, jährlich 200 neue Sozialwohnungen in Bochum zu bauen. „Selbst wenn das klappen sollte, wird das die Situation kaum verbessern. Denn weiterhin fallen jährlich 180 Wohnungen aus der Sozialbindung“, so Horst Hohmeier weiter. Durch eine falsche Wohnungspolitik hat sich die Zahl der Sozialwohnungen in Bochum von 2005 bis 2015 praktisch halbiert. Bereits im Vorfeld hatte das Bochumer Netzwerk ‚Stadt für Alle’ darauf hingewiesen: Bei dem nun geplanten Zuwachs von nur 20 Sozialwohnungen pro Jahr würde es mehr als 600 Jahre dauern, bis es in Bochum wieder genauso viele Sozialwohnungen gibt, wie es noch im Jahr 2005 waren. Mehr Infos.

 

3. Nur noch sechs Ratssitzungen? Linksfraktion gegen Demokratie-Abbau

Mehr Einfluss für die Verwaltung, weniger für die demokratisch gewählten Gremien – diese schleichende Entwicklung kritisieren wir schon seit Jahren. Einen weiteren Schritt in diese Richtung will Oberbürgermeister Thomas Eiskirch jetzt umsetzen. Statt bisher acht bis elf mal pro Jahr soll der Rat im kommenden Jahr nur noch sechs mal tagen. In der Debatte zum Thema kritisierte unser Fraktionsvorsitzender Ralf-D. Lange den Plan deutlich: „Jede Ratssitzung weniger bedeutet zwangsläufig weniger kommunale Demokratie. Weniger Debatten, weniger Klärung, weniger Vorbereitung, weniger Sorgfalt, weniger Auseinandersetzung.“ Mit der gegen unsere Stimmen beschlossenen Einführung des Doppelhaushalts und dem Outsourcing der Bochumer Bäder sind die Mitbestimmungsrechte des Rates zuletzt bereits deutlich eingeschränkt worden. Dieser Demokratie-Abbau muss unserer Meinung nach gestoppt werden. Deswegen haben wir dafür gestimmt, dass der Rat auch im kommenden Jahr mindestens acht Sitzungen abhalten wird. Aber „Mehr Demokratie wagen“ ist offensichtlich Vergangenheit: Mit den Stimmen von SPD und Grünen wurde der Antrag abgelehnt.

 

4. Trotz grünem Wahlkampf-Gag: Keine Mehrheit für Luftschadstoff-Messstationen

Im Umweltausschuss haben SPD, CDU und Grüne außerdem gemeinsam unseren Antrag für städtische Luftschadstoff-Messungen abgelehnt. Wir hatten beantragt, dass die Stadt Bochum prüfen soll, an welchen Standorten weitere Stickstoffdioxid-Messstationen aufgestellt werden können. Das NRW-Umweltministerium hatte zuvor berichtet, dass die Grenzwerte an der bisher einzigen Stickstoffdioxid-Messstelle auf Bochumer Stadtgebiet im Jahr 2016 deutlich überschritten worden sind. Die an der Herner Straße gemessenen Werte gehören sogar zu den höchsten zehn Prozent in NRW. Laut der Europäischen Umweltagentur waren im Jahr 2012 bundesweit ca. 10.000 vorzeitige Todesfälle auf die Aussetzung gegenüber Stickstoffdioxid zurückzuführen.

Verwundert sind wir über die Ablehnung unseres Antrags auch, weil die Bochumer Grünen im Bundestagswahlkampf medienwirksam fünf eigene Stickstoffdioxid-Messgeräte aufgehängt haben und dabei von „dringendem Handlungsbedarf“ sprachen. Schadstoff-Messung als kurzfristiger Wahlkampf-Gag, aber dann verhindern, dass die Stadt dauerhaft und flächendeckend misst – dieses Vorgehen der Grünen halten wir für problematisch.

Dabei wären die Kosten gering: Nur 100 bis 120 Euro pro Monat und Messstelle würden für die Stadt anfallen. Andere Kommunen wie zum Beispiel Wuppertal messen die Luftschadstoff-Werte daher schon lange selbst. Im zuständigen Ausschuss erklärte die rot-grüne Koalition nun allerdings, dass sie es für ausreichend hält, wie bereits in den Jahren 2008 und 2012 zusätzliche Messstationen beim Land zu beantragen. In der Vergangenheit hatte das zuständige Landesamt die Anträge jeweils abgelehnt. Um nicht ganz tatenlos dazustehen, verabschiedete der Rat allerdings immerhin einen Dringlichkeitsantrag, dass die Verwaltung ein Konzept zum Schutz vor schädlichen Luftemissionenerstellen erstellen soll. Dem haben wir zugestimmt. Darüber hinaus halten wir jedoch eine engmaschigere Überwachung der Schadstoffwerte in unserer Stadt weiterhin für dringend erforderlich. Gemeinsam mit dem fraktionslosen Ratsmitglied André Kasper hatten wir unseren Antrag für städtische Messstationen bereits im Mai eingebracht. Mehr Infos.

 

5. Radverkehr in Bochum: Chronische Unterfinanzierung beenden!

In den Ausschüssen des Rates haben die Beratungen für den Doppelhaushalt 2018/19 begonnen. Im Ausschuss für Infrastruktur und Mobilität hat unser Mitglied Sabine Lehman darauf hingewiesen, dass die Stadt Bochum dringend mehr Geld in den Radverkehr investieren muss, wenn sie ihre selbst gesteckten Ziele erreichen will. Gerade einmal 395.000 Euro sind im aktuellen Haushaltsentwurf für den Erhalt und Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur im kommenden Jahr vorgesehen. „Das ist kaum mehr als ein Euro pro Einwohnerin bzw. Einwohner“, kritisiert Sabine Lehmann. „Dabei hat selbst das Bundesverkehrsministerium in seinem Nationalen Radverkehrsplan festgestellt: Der Finanzierungsbedarf liegt in den Kommunen bei acht bis 18 Euro pro Einwohner/in und Jahr. Bei so wenig städtischen Eigenmitteln wird es nicht möglich sein, genug Fördermittel einzuwerben, um die Lücke zu schließen.“ Lehmann erinnert daran, dass sich die Stadt das Ziel gesetzt hat, den Anteil des innerstädtischen Fahrradverkehrs bis zum Jahr 2030 von sechs auf 20 Prozent zu erhöhen. „Dieses Ziel kann unter Beibehaltung der chronischen Unterfinanzierung nicht erreicht werden.“ Insgesamt tritt die Bochumer Linksfraktion für eine sozial-ökologische Verkehrswende ein. In Bochum liegt der Anteil des Radverkehrs seit 1990 weitgehend unverändert bei nur fünf bis sechs Prozent des gesamten innerstädtischen Verkehrs – daran hat auch die rot-grüne Koalition in den vergangenen 20 Jahren nichts geändert. Zum Vergleich: In Kopenhagen fahren 53 Prozent der Menschen mit dem Rad zur Arbeit. Zur Erklärung.

 

6. Solidarität mit den ThyssenKrupp-Beschäftigten

Für 22. September hatte die Gewerkschaft IG Metall und der Betriebsrat von ThyssenKrupp zu einer Großdemonstration gegen die drohende Zerschlagung des Konzerns und eine mögliche Fusion mit Tata Steel aufgerufen. Als Bochumer Linksfraktion haben wir die Proteste vor Ort unterstützt und gefordert: Die Fusion und muss verhindert werden! Denn wenn es zu der Fusion kommen sollte, sind die Arbeitsplätze in Bochum und an den Stahlstandorten im Ruhrgebiet massiv bedroht. Wir fordern darüber hinaus eine Politik, die selbst Verantwortung für den Erhalt der industriellen Arbeitsplätze übernimmt. Deswegen unterstützen wir auch die Forderung nach der Gründung einer öffentlich-rechtlichen Industriestiftung, die anstelle des indischen Konzerns bei ThyssenKrupp einsteigt. Eine solche Stiftung kann dafür sorgen, dass sich die Unternehmenspolitik zukünftig an den Interessen der Beschäftigten und der betroffenen Städte orientiert statt an den Renditeinteressen von Investoren. Mit einer solchen Stiftung könnten nicht nur Arbeitsplätze gerettet, sondern auch demokratische Mitbestimmungsrechte ausgebaut werden. Fotos und Video von der Demonstration.

 

7. Zur Situation der Geflüchteten in Bochum

Im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat Sozialdezernentin Britta Anger neue Zahlen zur Situation der Geflüchteten in Bochum vorgelegt. Als Linksfraktion haben wir die Unterlagen ausgewertet und eine Zusammenfassung veröffentlicht. Das Ergebnis zeigt, wie prekär die Situation tatsächlich ist: Obwohl weltweit mehr Menschen auf der Flucht sind als jemals zuvor, sorgt die tödliche Abschottungspolitik dafür, dass es praktisch keine Geflüchteten mehr bis nach Bochum schaffen. Im August hat die Bezirksregierung der Kommune gerade einmal 14 Menschen zugewiesen. Trotzdem müssen in unserer Stadt immer noch 3.086 Menschen in Containern, provisorischen Sammelunterkünften und „übergangsheimähnlichen Unterbringungen“ ausharren – und das teilweise schon seit Jahren. Unbeeindruckt davon baut die Stadt sogar weiter Kapazitäten an von ihr angemieteten Wohnungen ab. Es gibt sogar Berichte darüber, dass deswegen einzelne Geflüchtete, die bereits in einer Wohnung gewohnt haben, nun zurück in Container geschickt werden. Für die Betroffenen ist das natürlich eine schlimme Verschlechterung ihrer Lebenssituation, und entsteht der Eindruck, dass hier die Auslastung der langfristig angemieteten Conatainer- und Sammelunterkünfte gegenüber dem Recht auf Privatsphäre und menschenwürdigem Wohnen hinten angestellt wird. Unsere Auswertung in der Übersicht.

 

8. Auf der Straße gegen Abschottung und Rechtsruck

Zusammen mit 60 anderen Organisationen, Gruppen und Initiativen haben wir zu der Demonstration „Solidarität gegen Abschottung – Menschlichkeit gegen Rechtsruck“ am 09. September 2017 aufgerufen. Gemeinsam waren wir in Bochum auf der Straße, um ein Zeichen gegen alltäglichen und institutionellen Rassismus zu setzen. In dem Aufruf hieß es: „Wir wollen nicht zuschauen, wie Menschen aufgrund der künstlich errichteten Festung Europa sterben. Wir wollen nicht hinnehmen, dass neue Freund*innen aus unseren Städten vertrieben und abgeschoben werden. Wir wollen nicht dasitzen, während Politiker*innen mit rassistischen Parolen und andauernden Asylrechtsverschärfungen auf rechten Stimmenfang gehen und neue Grenzen zwischen den hier lebenden Menschen ziehen.“ Gerade die Flüchtlingspolitik ist ein Bereich, in denen ausgrenzende und ungerechte Bundesgesetze und diskriminierende Entscheidungen lokaler Behörden Hand in Hand gehen. Wir freuen uns über die große Medienresonanz und danken der Gruppe Treffpunkt Asyl Bochum für die Initiative zu dieser Demonstration, die im Rahmen der dezentralen Aktionstage „We’ll come united“ stattgefunden hat.

 

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