Newsletter 5/2017 (September 2017): Leere Wohnungen und doppelte Haushalte

Liebe Leser*innen,

Eine überdimensionale Landkarte von Bochum vor dem Rathaus – gespickt mit Markern, die symbolisch auf die vielen leerstehenden Wohnungen in unserer Stadt hinweisen – dazu Fotos von Containern, provisorischen Sammelunterkünften und „übergangsheimähnlichen Unterbringungen“, in denen bis heute mehr als 3.000 Geflüchtete in unserer Stadt auf engstem Raum leben müssen: Mit diesem beeindruckenden Bild protestierte am Donnerstag, den 31. August das Netzwerk ‚Stadt für Alle‘ vor dem Rathaus für eine schnelle Verabschiedung einer Wohnraum-Zweckentfremdungssatzung. Denn die stand am gleichen Tag nach einigem öffentlichen Druck und einem Antrag unserer Fraktion endlich auf der Tagesordnung des Bochumer Rats. In diesem Newsletter berichten wir von der Sitzung, in der es unter anderem noch um den städtischen Haushalt, verkaufsoffene Sonntage, und das Sozialticket für den öffentlichen Nahverkehr ging.

Die Themen im Einzelnen:

1. Breite Mehrheit fordert Erhalt des Sozialtickets
2. Wohnungs-Leerstand: SPD, CDU und AfD schicken Satzung in die Ehrenrunde
3. Rot-Schwarz-Grün für Ladenöffnungen am Sonntag
4. Doppelt gemoppelt ist schlechter: Kämmerer bringt neuen Kürzungshaushalt ein
5. Outsourcing der Flüchtlingsunterkünfte: Stadt bricht eigene Standards
6. Auf die Straße: „Solidarität gegen Abschottung – Menschlichkeit gegen Rechtsruck“

 

1. Breite Mehrheit fordert Erhalt des Sozialtickets

Das ist ein wichtiges Zeichen: Auf Initiative unserer Fraktion hat der Rat eine Resolution zum Erhalt des Sozialtickets beschlossen. Der Bochumer Stadtrat fordert die NRW-Landesregierung damit jetzt auf, „sich öffentlich zum Erhalt des Sozialtickets zu bekennen und die Finanzierung des Tickets über die gesamte Legislaturperiode hinweg zu sichern.“ Wir haben den Beschluss vorgeschlagen, um den Druck auf die schwarz-gelbe Landesregierung zu erhöhen. Die weigert sich aktuell nämlich, Aussagen zur Zukunft des Tickets zu treffen. Viele befürchten, dass die CDU und die FDP die notwendige Landesförderung streichen wollen. Eine Mehrheit im Rat war bis zum Schluss nicht sicher. Zwar hatten die Soziale Liste, die Grünen und das fraktionslose Ratsmitglied André Kasper bereits Anfang der Woche mitgeteilt, dass sie den Text gemeinsam mit uns einbringen wollen. Die SPD entschied sich jedoch erst in letzter Sekunde dafür.

Der Bochumer Rat fordert in der Resolution auch, dass die Mobilitätssätze erhöht werden, die zum Beispiel im ALGII-Satz vorgesehen sind. Aktuell erhalten Hartz-IV-Empfänger*innen gerade mal 25,77 Euro im Monat für Mobilität – das Sozialticket kostet jedoch bereits jetzt 35,55 Euro. Insgesamt stellt die Resolution einen gemeinsamen Nenner der Fraktionen und Ratsmitglieder dar, die sie einbringen. „Als Linksfraktion kritisieren wir darüber hinaus die erneute Preiserhöhung für das Sozialticket scharf, welche die CDU und die Grünen gemeinsam in den VRR-Gremien beschlossen haben“, betonte unser Ratsmitglied Gültaze Aksevi. Mit dieser erneuten Erhöhung liegt der Preis ab dem 1. Oktober bei 37,80 Euro. Das sind 46 Prozent mehr, als ALGII-Empfänger*innen insgesamt für Mobilität zur Verfügung steht. Gemeinsam mit den Bündnispartner*innen, die für die Einführung des Sozialtickets gekämpft haben, fordern wir die Senkung des Preises auf 15 Euro. Dazu muss unter anderem die Landesförderung erhöht werden. Mittelfristig streben wir einen kompletten Umbau der ÖPNV-Finanzierung auf ein öffentlich finanziertes Solidarmodell an. Die Resolution im Wortlaut. Mehr Infos.

 

2. Wohnungs-Leerstand: SPD, CDU und AfD schicken Satzung in die Ehrenrunde

Nicht ganz so entscheidungsfreudig zeigte sich die SPD-Fraktion bei einem anderen Thema. Der Beschluss über die von uns seit langem geforderte Zweckentfremdungssatzung zum Schutz und Erhalt von Wohnraum ist vertagt. Grund dafür ist, dass die SPD, CDU und die AfD „Beratungsbedarf“ angemeldet haben. Wir halten diese weitere Verzögerung für nicht notwendig. Bereits vor der Sitzung hatten wir die anderen Fraktionen aufgefordert, den Beschluss nicht zu blockieren.

Zu dem Satzungsentwurf, den die Stadtverwaltung jetzt doch noch vorgelegt hat, liegt ein Änderungsantrag von uns vor. Mit ihm wollen wir Mieter*innen besser vor Verdrängung schützen: Wir wollen in der Satzung festschreiben lassen, dass sie von der Verwaltung angehört werden, wenn Vermieter*innen eine Erlaubnis zur Umnutzung oder zum Abriss ihrer Wohnung beantragen. Außerdem haben wir beantragt, mit einer Übergangsvorschrift klarzustellen, dass die neuen Regeln auch für Wohnungen gelten, die bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung leer standen. Weitere Änderungsvorschläge betreffen die Höhe der möglichen Ausgleichszahlungen und der Zinsen für verspätete Zahlung. Außerdem wollen wir festschreiben lassen, dass die Ausgleichszahlungen für kommunalen Wohnungsbau verwendet werden. Unser Änderungsantrag im Wortlaut.

So sieht jetzt der Zeitplan aus: In den kommenden vier Wochen sollen die Ausschüsse und Bezirksvertretungen über den Entwurf und über unsere Änderungsvorschläge beraten. Am 28. September soll es dann so weit sein, dass der Rat endlich entscheidet. Den Entwurf einer Zweckentfremdungssatzung hat die Verwaltung auf unsere Initiative hin vorgelegt. In einer Rede auf der Ratssitzung im Juli hatte unser Ratsmitglied Horst Hohmeier bereits ausführlich begründet, weshalb sie notwendig ist.

 

3. Rot-Schwarz-Grün für Ladenöffnungen am Sonntag

Keine Überraschungen gab es beim Thema verkaufsoffene Sonntage. Gegen die Stimmen unserer Fraktion hat eine Mehrheit aus SPD, CDU und Grünen eine neue Sonntagsöffnungs-Verordnung durchgestimmt. Damit versuchen sie, die drei verbleibenden verkaufsoffenen Sonntage in diesem Jahr zu retten. Die bisherige Verordnung hatte eindeutig gegen geltendes Recht verstoßen – worauf wir bereits vor ihrer Verabschiedung im März hingewiesen hatten. Die neue Verordnung schränkt den räumlichen Bereich, in dem die Geschäfte an den verkaufsoffenen Sonntagen öffnen dürfen, immerhin deutlich ein. Auf der Ratssitzung im Mai hatten sich die anderen Fraktionen noch geweigert unserem Antrag auf Aufhebung der rechtswidrigen Verordnung zuzustimmen.

Bei der neuen Verordnung hat die Verwaltung die Anforderungen der Rechtsprechung zumindest nicht mehr so völlig offensichtlich ignoriert wie bei der zuvor verabschiedeten. Trotzdem kritisierte unser Fraktionsvorsitzender Ralf-D. Lange das gesamte Verfahren als „unwürdig und beschämend, vielleicht aber auch symptomatisch“: Statt sich von Anfang an die Mühe zu machen eine zulässige Satzung auszuarbeiten, habe die Gewerkschaft ver.di erst vor Gericht ziehen müssen. Und nun werde die viel zu spät eingereichte Neufassung auch noch in einem Hau-Ruck-Verfahren durchgesetzt. Hintergrund der Kritik: Die Verwaltung hatte die betroffenen Sozialpartner, u.a. die Gewerkschaften und Kirchen, mitten in der Hauptferienzeit mit einer Frist von weniger als einer Woche zur Stellungnahme aufgefordert – und das auch noch, ohne ihnen den Satzungsentwurf überhaupt zur Kenntnis zu geben. Dazu Ralf-D. Lange: „Herr Kopietz, meine Damen und Herren, so respektlos sollten wir nicht mit relevanten Gruppen in Bochum umgehen!“ Die Rede im Wortlaut. Als Linksfraktion lehnen wir die verkaufsoffnen Sonntage weiterhin aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Es spricht auch vieles dafür, dass es in der Bochumer Bevölkerung keine Mehrheit für sie gibt. Mehr Infos.

 

4. Doppelt gemoppelt ist schlechter: Kämmerer bringt neuen Kürzungshaushalt ein

Gleich für zwei weitere Jahre soll sich der Bochumer Rat auf eine Fortsetzung der aktuellen unsozialen Kürzungs- und Privatisierungspolitik festlegen – das ist jedenfalls der Vorschlag der Verwaltung, den der scheidende Stadtkämmerer Manfred Busch jetzt in die Ratssitzung eingebracht hat. Dabei hat er offensichtlich die Rückendeckung von SPD und Grünen. Bereits in Februar war ein Antrag im Rat gescheitert, mit dem die Verwaltung aufgefordert werden sollte, statt eines Doppelhaushalts weiterhin jedes Jahr einen Haushaltsentwurf zu erstellen. Mehr Infos. Auch abgesehen von der Machtverlagerung aus den demokratischen Gremien hin zur Verwaltung, die mit einem Doppelhaushalt einher geht, gibt es in den anstehenden Haushaltsberatungen einige Knackpunkte. So reichen unserer Ansicht nach die geplanten Investitionen von 160 Millionen Euro nicht annähernd aus, um den Sanierungsstau in der öffentlichen Infrastruktur aufzulösen. Außerdem ist im aktuellen Haushaltsentwurf eine deutliche Anhebung der Grundsteuer vorgesehen. Das hätte auch eine Erhöhung der Wohnungsnebenkosten aller Mieter*innen zur Folge. Und selbst mit dieser Steuererhöhung steht aktuell noch ein Haushaltsloch von 20 Millionen Euro im Entwurf. Es ist also zu befürchten, dass sich die Verantwortlichen noch weitere Kürzungen einfallen lassen.

 

5. Outsourcing der Flüchtlingsunterkünfte: Stadt bricht eigene Standards

Papier ist bekanntlich geduldig – das hat die Bochumer Verwaltung jetzt erneut bewiesen. So hat die Stadt einerseits Standards für die Unterbringung- und Betreuung von Flüchtlingen festgelegt, „um einen menschenwürdigen Aufenthalt sicher zu stellen“. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass sie diese Standards jetzt in den Ausschreibungen zu dem von uns kritisierten Outsourcing der Flüchtlingsunterkünfte selbst unterschreitet.

So heißt es in dem städtischen Unterbringungs- und Betreuungskonzept unter Punkt 5.2 – Personelle Rahmenbedingungen: „Um eine ausreichende sozialarbeiterische Betreuung der Flüchtlinge sicherstellen zu können, bedarf es hier eines Betreuungsschlüssels von 1:75 (Ratsbeschluss vom 22.1.2015).“ Außerdem ist in dem Konzept festgelegt, dass die Betreuung und Beratung „ausschließlich von qualifizierten Beschäftigten mit einem abgeschlossenen Studium der Sozialen Arbeit (Diplom oder Bachelor) durchgeführt“ werden. Inzwischen hat die Stadt die erste Unterkunft in einem europaweiten Ausschreibungsverfahren vergeben. Die Ausschreibung sieht lediglich einen Sozialarbeiter*innen-Betreuungsschlüssel von 1:100 statt 1:75 vor. Abweichend vom Unterbringungs- und Betreuungskonzept muss außerdem bei Unterkünften mit mehr als 100 Plätzen nur „die Hälfte der Personalkapazität die Qualifikation Soziale Arbeit/Sozialpädagogik besitzen“. Bei den Sozialbetreuer*innen lässt die Ausschreibung darüber hinaus ausdrücklich zu, auch nicht ausgebildete Ehrenamtliche und Bundesfreiwillige einzusetzen. Diese Unterschreitung der eigenen Standards im Rahmen des Outsourcings kritisieren wir und haben dazu eine Anfrage im Rat gestellt. Wir wollen wissen, warum die Ausschreibung dem Unterbringungs- und Betreuungskonzept widerspricht, und ob die Verwaltung damit nicht das eigene Konzept untergräbt, das die menschenwürdige Unterbringung und Betreuung gewährleisten soll. Weiter fragen wir an, ob die Verwaltung dafür Sorge tragen wird, dass alle zukünftigen Ausschreibungen den Standards des Unterbringungs- und Betreuungskonzepts entsprechen. Unsere Anfrage im Wortlaut. Die Verwaltung hat angekündigt schriftlich zu antworten.

 

6. Am 9. September: Auf die Straße gegen Abschottung und Rechtsruck!

Zusammen mit mehr als 50 anderen Organisationen, Gruppen und Initiativen unterstützt die Bochumer Linksfraktion den Aufruf zu der Demonstration „Solidarität gegen Abschottung – Menschlichkeit gegen Rechtsruck“ am Samstag, den 09. September 2017 in Bochum.

Gerade die Flüchtlingspolitik ist ein Bereich, in denen ausgrenzende und ungerechte Bundesgesetze und diskriminierende Entscheidungen lokaler Behörden Hand in Hand gehen. Zusammen mit den anderen beteiligten Gruppen wollen wir die politische Aufmerksamkeit vor der Bundestagswahl nutzen, um ein Zeichen gegen alltäglichen und institutionellen Rassismus zu setzen. In dem Aufruf heißt es: „Wir wollen nicht zuschauen, wie Menschen aufgrund der künstlich errichteten Festung Europa sterben. Wir wollen nicht hinnehmen, dass neue Freund*innen aus unseren Städten vertrieben und abgeschoben werden. Wir wollen nicht dasitzen, während Politiker*innen mit rassistischen Parolen und andauernden Asylrechtsverschärfungen auf rechten Stimmenfang gehen und neue Grenzen zwischen den hier lebenden Menschen ziehen.“ Der Aufruf im Wortlaut.

Wir danken der Gruppe Treffpunkt Asyl Bochum für die Initiative zu dieser Demonstration, die im Rahmen der dezentralen Aktionswochen „We’ll come united“ stattfindet – und wir rufen alle Bochumer*innen auf, sich an der Demo zu beteiligen. Los geht es am 9. September um 13 Uhr an der Ecke Ostring/Josef-Neuberger-Straße, in der Nähe des Hauptbahnhofs.

 

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